Auswertung 2022 des Registers zur Erfassung von extrem rechten und diskriminierenden Vorfällen in Treptow-Köpenick erschienen
Im Jahr 2022 wurden 350 Vorfälle dokumentiert (2021: 387). Das entspricht einem Rückgang um ca. 10 %. Dieser lässt sich insbesondere auf die höhere Vorfallzahl durch den Wahlkampf im Vorjahr zurückführen. Dementsprechend sind vorwiegend die Veranstaltungen (- 16) und die Propaganda (- 10) zurückgegangen, aber auch die Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien (- 8). Lediglich die Angriffe sind wieder leicht angestiegen (+ 4).
Nachdem im Jahr 2021 erstmals der Abgleich der Angriffe mit der Berliner Polizei aufgrund von Datenschutzbedenken nicht stattfand und es so zu einem Einbruch der Vorfallmenge kam, hat sich diese im Jahr 2022 wieder leicht erhöht. Es findet jedoch weiterhin kein Abgleich statt. Die rassistischen Angriffe haben sich im Vergleich zum Vorjahr auf insgesamt 12 verdoppelt, was jedoch immer noch hinter den Zahlen der zurückliegenden Jahre liegt (2020: 19, 2019: 25). Auch im Bereich der Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien sind die rassistischen Vorfälle weiter gestiegen (+ 4), obwohl die Vorfallart insgesamt zurückgegangen ist (- 8). Dabei waren NS-verharmlosende/ -verherrlichende und solche gegen politische Gegner*innen am stärksten rückläufig. Insbesondere im Wahlkampf gab es vermehrt Anfeindungen gegen Wahlkampfhelfer*innen, was den Rückgang im Bereich der politischen Gegner*innen erklärt. Die meisten Angriffe (4) und Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien (7) wurden unter „Bezirksweit“ erfasst, da sie meist an besonders geschützten Orten, wie Schulen oder im Zusammenhang mit dem Wohnort der Betroffenen stattfanden. In diesen Fällen wird zum Schutz der Betroffenen der Vorfall anonymisiert. In den Ortsteilen Niederschöneweide (Angriffe: 1, Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien: 7), Alt-Treptow (Angriffe: 2, Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien: 4) und Altglienicke (Angriffe: 2, Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien: 4) wurden die meisten Übergriffe dokumentiert.
Bei den weiteren Vorfallarten sind vor allem die Veranstaltungen rückläufig (- 16). Dies lässt sich ebenfalls auf die ausbleibenden Wahlkampfstände der NPD und die im Jahr 2022 ausgelaufene Genehmigung für Infostände des III. Weg zurückführen. Einen leichten Rückgang gab es bei den Strukturellen Benachteiligungen (- 6), was durch die Überlastung der Kooperationspartner*innen aufgrund des massiv gestiegenen Beratungsbedarfs von Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, erklärt werden kann. Die Weiterleitung von Vorfällen stellt an dieser Stelle einen zusätzlichen Aufwand dar, der nicht geleistet werden konnte. Jedoch deutet dieser Umstand auch auf eine hohe Dunkelziffer hin. Auch die Propaganda hat leicht abgenommen (- 10). Jedoch gab es eine Veränderung in den Inhalten, so haben NS-Verherrlichung/ -Verharmlosung wieder zugenommen und auch die (extrem) rechte Selbstdarstellung. Dies ist bemerkenswert, da nach einem Wahljahr mit einem Rückgang dieses Motives zu rechnen war. Dieser erwartete Rückgang wurde jedoch durch die weiter zunehmenden Aktivitäten des III. Weg ausgeglichen. Die Sachbeschädigungen sind auf einem hohen Niveau geblieben, jedoch haben sich hier die Inhalte stark verschoben. So nahmen die LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle stark zu (+ 6).
Den stärksten Zuwachs bei den Motiven gab es im Bereich der LGBTIQ*-Feindlichkeit. Hier nahmen besonders die Sachbeschädigungen und die Propaganda zu. Das ist ein neues Phänomen in diesem Motivbereich, der sonst stark von Übergriffen geprägt war. Die Propaganda schließt dabei an gesellschaftliche Diskurse an und nimmt queere Menschen mehr als politische Gegner*innen in den Fokus (s. Schwerpunktthema). Zudem kam es auch im Bereich der NS-Verharmlosung/ -Verherrlichung zu einem erneuten Anstieg, womit sich die Vorfallzahl wieder dem Niveau von 2020 (103) annähert. Es handelt sich dabei größtenteils um Vorfälle mit Hakenkreuzen. In allen anderen Motivbereichen gab es einen Rückgang, der sich durchschnittlich am Gesamtrückgang orientiert.
Erstmals ist Köpenick Nord der Ortsteil mit den meisten Vorfällen (50). Besonders ist jedoch, dass es sich ausschließlich um Propaganda handelt. Dies ist zusätzlich bemerkenswert, da der Ortsteil ein reines Wohngebiet ist und es sich damit um keinen normalerweise üblichen Ort für derartige Vorfälle handelt. Da in Köpenick Nord die größte Menge an Vorfällen im Zusammenhang mit dem III. Weg dokumentiert wurden (24), ist davon auszugehen, dass AktivistInnen der Partei hier regelmäßig unterwegs sind. Ein weiterer Ortsteil mit einer starken Zunahme an Vorfällen ist Wilhelmshagen/ Rahnsdorf (2021: 3, 2022: 15). Auch hier sind es insbesondere Propagandavorfälle, aber auch eine NS-verherrlichende Pöbelei. Nach Köpenick Nord folgt Niederschöneweide mit insgesamt 44 Vorfällen. Hier wurden auch ein LGBTIQ*-feindlicher Angriff und sieben Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien dokumentiert, sowie fünf Sachbeschädigungen. Der Ortsteil ist damit nach wie vor die Gegend mit den meisten Übergriffen.
In der Auswertung für das Jahr 2022 wurden die Schwerpunkte auf die extrem rechten Parteien und das Motiv LGBTIQ*-Feindlichkeit gesetzt. Beide Themen werden auch im kommenden Jahr weiter relevant sein. Die zunehmenden Aktivitäten des III. Weg in ganz Berlin und die Übertritte aus der NPD werden die neonazistische Partei bestärken. Sie stellt einen Anlaufpunkt für gewalttätige Neonazis und aktionsorientierte junge Menschen dar. Diese Kombination kann in den nächsten Jahren zu einem Anstieg der Gewalt führen und muss sehr genau beobachtet werden. Insbesondere die Entwicklungen in Köpenick Nord und der Dammvorstadt zeigen, dass die Partei mit dem Bezirk verbunden ist. Die Nähe zu ihrem Hauptaktionsraum Hellersdorf verschärft die Situation zusätzlich. Die Zivilgesellschaft und Politik muss hier wachsam sein und rechtzeitig aktiv werden, um eine stärker werdende extreme Rechte rechtzeitig einzudämmen. Mit der zunehmenden Organisierung der extremen Rechten in Berlin steigt auch das Risiko für politische Gegner*innen und von Diskriminierung betroffene Menschen. Rassismus ist dabei das Hauptthema der extremen Rechten, jedoch knüpft diese zunehmend auch an LGBTIQ*-feindliche gesellschaftliche Diskurse an. Dabei werden queere Menschen von der extremen Rechten zunehmend als politische Gegner*innen adressiert und so der Fokus erweitert. Dabei sind die LGBTIQ*-feindlichen Vorfälle seit Jahren von einem hohen Anteil an Gewalt geprägt. Die aktuellen diskriminierenden Debatten, die sich im Jahr 2022 bereits in einer Zunahme der Propaganda in Treptow-Köpenick widergespiegelt haben, werden weitere Folgen haben. In ganz Berlin sind die LGBTIQ*-feindlichen Angriffe in den letzten drei Jahren kontinuierlich angestiegen. Diese Entwicklung wird sich vermutlich in den kommenden Jahren auch im Bezirk zeigen. Umso wichtiger ist es, in Treptow-Köpenick solidarische Strukturen für Betroffene aufzubauen und Räume für Vernetzung zu gestalten. Es ist auch eine Aufgabe der Zivilgesellschaft und Politik, auf Betroffene zuzugehen und ihre Sorgen und Bedürfnisse ernst zu nehmen.