Bericht: Abendveranstaltung „Dialog: Sichtbarkeit schaffen – LGBTQIA-Feindlichkeit begegnen“
Am Abend des 16. November 2021 fand die Veranstaltung „Dialog: Sichtbarkeit schaffen – LGBTQIA-Feindlichkeit begegnen“ im Rahmen der Reihe „Von der Geschichte zur Gegenwart“ im Kino Casablanca in Adlershof statt. Bei einer der letzten live Veranstaltungen fanden sich trotz gesundheitsbedingter Absagen ca. 20 Interessierte im Kino ein, um gemeinsam die Dokumentation „Yes, We Are“ zu schauen. Die Dokumentation zeichnet die Anfänge der LGBTIQ*-Bewegung in Polen nach und legt dabei einen Fokus auf die Kämpfe um Sichtbarkeit lesbischer Frauen. Im Anschluss sprach Ben Hotz vom Zentrum für Demokratie mit Jennifer Ramme, die selbst Teil des Films war und heute im deutsch-polnischen Grenzgebiet die Proteste der Community dokumentiert und zur Bewegung forscht und Jeannine Löffler vom Register zur Erfassung extrem rechter und diskriminierender Vorfälle in Treptow-Köpenick über den Film und die aktuellen Entwicklungen in Berlin und Polen, sowohl in Bezug auf die LGBTIQ*-Bewegung als auch mit Blick auf die extreme Rechte in beiden Ländern.
Folgend dokumentieren wir in gekürzter Form den Beitrag des Registers Treptow-Köpenick.
Kurzinput des Register Treptow-Köpenick zu Lesbenfeindlicher Gewalt
Die Berliner Register erfassen den Bereich LGBTIQ*-Feindlichkeit. Sie ist Teil des Phänomen-Bereichs der Gruppenbezogen Menschenfeindlichkeit und fester Bestandteil rechter Ideologien.
Wird allerdings auf die einzelnen Betroffenengruppen geschaut, lassen sich diese teils nur schwer vergleichen. Wie bereits mehrere Studien seit den 80ziger Jahren zu lesbenfeindlicher Gewalt zeigen, ist diese nochmal in ganz anderen Zusammenhängen zu betrachten als beispielsweise Gewalt gegen schwule Männer. Fest steht: lesbenfeindliche Gewalt ist viel unsichtbarer.
Dies zeigt sich auch in den Zahlen der Register. In Treptow-Köpenick wurden in diesem Jahr mehr LGBTIQ*-feindliche Übergriffe (körperlich und verbal) dokumentiert als in allen Jahren zuvor. Bereits jetzt sind es 5 Angriffe und 5 Beleidigungen/ Bedrohungen/ Pöbeleien. Diese richteten sich zu 80 % gegen Männer. In einem Fall handelte es sich um eine Gruppe von queeren Menschen und in einem Fall um zwei Frauen, die als lesbisch gelesen wurden. Fast die Hälfte der Vorfälle fand in und um den Treptower Park statt, der Großteil in den Abendstunden. Queer-feindliche Übergriffe machten in den letzten Jahren 4 – 8 % der gesamten dokumentierten Übergriffe aus. Dass die Zahl der Übergriffe in diesem Bereich im Bezirk zunimmt, hat verschiedene Gründe: Zum einen zeigen die berlinweiten Zahlen, dass vor der Pandemie (2019) die meisten Übergriffe in den sogenannten Partykiezen in der Innenstadt begangen wurden, an den Orten queerer Sichtbarkeit. Durch die Schließungen von Treffpunkten und den Rückzug in das Wohnumfeld hat sich auch die örtliche Verteilung der Übergriffe verändert. Der Treptower Park, als ein Ort an dem sich Menschen draußen treffen können, ist damit also auch ein Ort der Sichtbarkeit und der Übergriffe geworden. Auch in den berlinweiten Zahlen zeigt sich, dass die dokumentierten Vorfälle zu einem überwiegenden Teil von Männern an Männern begangen wurden.
Mit dieser Problematik hat sich 2018 auch die Studie „Berliner Monitoring – Trans und homophobe Gewalt“ von Camino beschäftigt. Bei den in Berlin erfassten Vorfällen von Dokumentationsstellen und Polizei stehen 14 lesbenfeindlichen 286 schwulenfeindlichen Übergriffen gegenüber. Jedoch zeigte die Studie, dass von den 188 erreichten lesbisch/queeren Frauen 57 % in den letzten 5 Jahren und 35 % im letzten Jahr Gewalt erlebt haben. Würden die Zahlen also einfach umgesetzt werden, wären schätzungsweise 35.000 Gewalttaten gegen lesbisch/queere Frauen in einem Jahr in Berlin begangen worden.
Für diese Unsichtbarkeit gibt es sowohl strukturelle als auch institutionelle Gründe. Lesbenfeindliche Gewalt findet immer auch in den Schnittstellen zu Sexismus und Misogynie (Frauenfeindlichkeit) statt. Sie ist Teil patriarchaler Strukturen und Gewalt. Lesbische Frauen sind nach der benannten Studie im Nahumfeld, also Familie und engem Freundeskreis mehr von körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffen als homosexuelle Männer. In der Öffentlichkeit dreht sich dies um. Frauen sind im öffentlichem Raum insbesondere von verbaler Gewalt betroffen. Diese geschieht als „Gelegenheitstat im Vorübergehen“ oder im Rahmen von heterosexistischer Anmache. Jedoch sind viele Frauen bereits seit ihrer frühsten Jugend von sexistischen verbalen Übergriffen betroffen, viele sind es gewohnt mit solchen Übergriffen umzugehen, sie zu ignorieren. Dies führt dazu, dass auch weniger Frauen Vorfälle anzeigen oder dokumentieren lassen. Zudem sind die Grenzen zwischen Sexismus und Lesbenfeindschaft oft fließend, wodurch auch Betroffene diese schwerer als solche erkennen. Hinzu kommt, dass bei der Thematisierung lesbenfeindlicher Gewalt oft sexistische und misogyne Abwehrmechanismen aktiviert werden, die eine erneute, schmerzhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Diskriminierung zur Folge haben und Betroffene viel Kraft kostet. Außerdem findet Lesbenfeindlichkeit nicht nur im Spannungsfeld mit Sexismus statt. Viele lesbische Frauen erleben mehrfache Diskriminierungen durch Rassismus, Trans-Feindlichkeit und Behindertenfeindlichkeit.
Auch institutionell zeigen sich große Schwierigkeiten. Seit 1992 gibt es einen Ansprechpartner bei der Polizei für damals noch „gleichgeschlechtliche Lebensweisen“. Erst 2006 wurde auch die Stelle einer Ansprechpartnerin eingerichtet, was durch die bereits beschriebenen Verbindungen zu Sexismus und Misogynie mehr als nötig war. Die Berliner Polizei und auch die Staatsanwaltschaft bemühten sich schon immer um schwule Männer. Insbesondere durch das Bewusstsein um § 175 StGB, der noch bis 1994 homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte und von dem mehrheitlich Männer betroffen waren, war den Institutionen bewusst, dass sie Vertrauen aufbauen mussten, um das Anzeigeverhalten zu verbessern. Hierfür wurde dann auch 2012 eine Ansprechperson für LGBTI bei der Staatsanwaltschaft eingerichtet. Dafür arbeiteten und arbeiten die Institutionen sehr eng mit Organisationen zusammen deren Zielgruppe ebenfalls vornehmlich weiß und männlich ist. Und so scheint auch die Richtung des Vertrauensaufbaus zu sein, denn ansonsten müssten sich diese Institutionen mit Themen wie Sexismus und Rassismus in den eigenen Reihen beschäftigen. Denn klar ist, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind weniger Vertrauen in die Polizei haben und auch Frauen, die insbesondere im Bereich sexualisierter Gewalt oft schlechte Erfahrungen mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten machen, eine andere, sensiblere und vor allem reflektierter Arbeit benötigen, um mehr Vertrauen in diese Institutionen aufbauen zu können.
Es bleibt also sehr viel zu tun. Die Berliner Register versuchen ihren Teil beizutragen und gehen aktiver auf die queere Community in Berlin zu, mit dem Wunsch durch unsere Arbeit Diskriminierung sichtbarer zu machen und politische Kämpfe durch die Dokumentation unterstützen zu können.
Link zu Studie „Berliner Monitoring – Trans und homophobe Gewalt“ von Camino